8.9.11

kulturschock

ich habe einen kulturschock. mein rechtes auge hat ein "werm", jedenfalls ist durch staub, schweiss und kontaktlinsen rot angeschwollen. die leute sind so aufmerksam, fragen mich, ob ich krank bin. ich versuche zu erklaeren, dass ich in den letzten jahren in einer stadt gelebt habe, und die umstellung nicht so einfach ist.

in den letzten naechten habe ich kaum geschlafen. es ist schwer, mich sicher zu fuehlen in dem holzhaus. wir haben ms am weg gesehen u auch auf den feldern der community. hubschrauber fliegen quasi jeden tag in der naehe, liefern waffen, truppen, treffen vorbereitungen. es ist die ganz normale kriegssituation, weder sehr angespannt grade noch sehr entspannt. eher viel militaer praesenz. gina und emily schlafen mit ohrenstoepseln. ich will so viel wie moeglich mitkriegen, aber wenn das so weitergeht, werde ich das auch mit den stoepseln versuchen. ich verstehe unser sicherheitskonzept so, dass es durch sichtbarkeit funktioniert. auf unseren haeusern steht gross FOR und auf unseren t-shirts, die wir immer tragen. tagsueber bin ich ganz in meiner rolle, es macht mir nichts, militaers zu begegnen. - aber in der nacht sehen sie ja unsere t-shirts nicht, darum fehlt bisher mein vertrauen.

die hyienischen bedingungen sind sehr gewoehnungsbeduerftig. ich liebe ja das waeschewaschen mit der hand, aber das verbrennen unserer klopapierln, die wir lateinamerikanisch in einem kuebel sammeln u die spinnenweben ueber der dusche finde ich grenzwertig. kinder u tiere sind ueberall, nehmen alles, gehen ueberall hin, mit gummistiefeln, schlapfen oder dreck an den pfoten. unsere katze sapa isst unser essen, wenn wir es nicht gut genug verschliessen. es gibt einen hund, der unsere tampons aus dem kuebel sucht u sie durch haus traegt u dann frisst. (hoch lebe mein lunacup!).

wir essen aus plastiktellern! wow, das ist fast die groesste herausforderung fuer mich. nicht nur, dass das wasser eigen schmeckt, nein, auch das essen von plastiktellern schmeckt ein bisserl plastikern.
ich finde es ja gut, dass Fellowship Of Reconciliation keine EZA-organisation ist, die uns mit motorraedern, waschmaschinen und anderen praktischen u persoenlichen dingen hier einfliegt. wir leben also wie die leute im dorf leben. wir haben keinen kuehlschrank. es ist heiss und freucht, wir haben nicht so viele gewuerze, das gekochte essen haelt maximal bis am naechsten morgen u schmeckt dann nochmal mehr nach plastik.

manche der dorfbewohner_innen haben einen schoenen ofen. wir haben 2 gaskochplatten. eine frau im dorf hat einen kuehlschrank. manchmal koennen wir dort was einkuehlen. unter unserem wassertank in der kueche gibt es ratten. zwischen unseren haeusern laufen pferde und kuehe und schweine, fressen gras und scheissen und wuehlen im dreck. unsere katze sapa bewegt sich in dem umfeld und rennt danach ueber unsere plastikteller in den nicht-verschliessbaren kuechenregalen.

es ist nichts nie ganz sauber.

wir haben ein kleines buero, das internet verbindet sich immer wieder, und besonders in der frueh klappt die verbindung meistens.

ich mag es, die waesche mit der hand zu waschen!
ich mag unseren holzboden im holzhaus, da koennen wir allen dreck zwischen die ritzen hinunterkehren auf die erde. ich mag es nicht, dass die waende nicht bis oben abgetrennt sind in unserm holzhaus, es ist also alles ein grosser raum mit abteilungen.

ich bin momentan in apartado, freue mich ueber das schnelle internet u das geflieste bad im hotel. ein gefliestes bad!

wenn ich in kolumbianischen staedten kaffee bestelle, bekomme ich einen plastikstrohhalm dazu. ja, plastik gibts viel. nicht nur das geschirr. auch muell, zwischen dem pferdemist. im friedensdorf verbrennen sie ihn, und es gibt einen platz, wo er in der erde vergraben wird. wie ueberall auf der welt.

wir bemuehen uns, keinen muell dorthinauf zu tragen. papier verbrennen wir. im garten haben wir einen komposthaufen, und die leute fragen uns, wie das funktioniert. ich faende eine humustoilette hier sehr angebracht u viel hygienischer als ein klo, bei dem ein tank drunter installiert ist. wie und wann unser klo einmal entleert werden soll, will ich mir gar nciht vorstellen. das klo ist ein wasserklo, wir spuelen selber, schuetten wasser nach. die dusche ist eine normale dusche ohne spruehfunktion.

das wasser kommt aus tanks. manchmal bekommen die leute im dorf durchfall, wenn tierkot in die tanks kommt. die hygienischen missstaende betreffen also nicht nur die nicht an die bakterien gewoehnten internationalen begleiter_innen.

ich glaube, ich kann mich an alles gewoehnen. im moment frage ich mich, ob ich so wirklich leben will. ob ich mir von allen wunderbaren orten, die es auf der welt gibt, dieses dorf aussuche, weil es mich braucht, bzw. weil es internationale praesenz braucht. die frage ist, ob ich mich gewoehnen WILL. ich will im prinzip nicht, dass irgendjemand auf der welt so lebt. dass teil des lebens in der friedensgemeinde ein leben in der armut ist, ist traurige wahrheit. die friedensgemeinde lebt prinzipien der nicht-annahme von staatlichen geldern, mit dem hintergrund dass das staatliche militaer mehrfach an massakern an gemeindemitgliedern beteiligt war. aber auch nicht-friedensgemeindemitglieder, viele, viele menschen, leben in diesem land unter aehnlichen bedingungen. und werden dann sogar noch von ihren laendern vertrieben.

nach 5 naechten ohne viel schlaf, mit angst u geraeuschinterpretation (tiere sind so laut in der nacht!) hatte ich gestern einen tag mit vielen traenen, und mit vielen gespreachen. wieder fuehle ich mich sehr gut aufgehoben und angenommen. es ist meinen kolleg_innen aehnlich gegangen in den ersten tagen im dorf.

heute frueh bin ich mit gina in die stadt gegangen. besser gesagt: gelaufen! wir begleiteten zwei leute, den weg herunter, mussten wie ueblich eine h warten u dann hatten sie es eilig. ich gehe ja schnell. ich liebe ja gehen.
heute war ich mit einer kontaktlinse unterwegs, wegen meines geschwollenen auges, heute war ich erschoepft vom vielen nicht-schlafen. ich konnte nciht mithalten mit den anderen u bei einem versuch, ihnen nachzulaufen fiel ich volle laenge in den gatsch. hab mein knie aufgechuerft. niemand hat gewartet. (ich holte sie ein, als sie leute im dorf trafen).

ich frage mich, inwieweit ich mir selber "gewalt" antue, wenn ich mich an die veraenderten bedingungen gewoehnen WILL.

vom nicht-gut-schlafen und so-viel-schwitzen bin ich staendig hungrig! und das plastiktelleressen macht mich oft nicht ganz satt. uebrigens kochen gina u emily u auch ich wirklich gut, aber es schmeckt mir trotzdem nicht so sehr u wir haben nicht so eine grosse vielfalt an essen, im garten waechst noch nicht so viel u alles andere muessen wir selbst hinauftragen ins dorf. es ist eine seltsame und sehr ungewoehnliche situation fuer mich, dass mir das essen nicht so schmeckt!
das beste, was wir haben, ist heisse schoko, kakao waechst ja hier u auch zuckerrohr! wir haben panela, zuckerrohrmasse in grossen bloecken.

ich bleibe hier in der stadt ein paar tage und merke, wie gut das tut. ich kann ja jederzeit etwas aendern. ich habe heute mit liza telefoniert u wieder geweint. ich mag das team so. und ich mag die organisation. sie machen so grossartige arbeit. ich habe vollen - fast ehrfuerchtigen - respekt vor allen, die laenger mit der friedensgemeinde gelebt haben u denen es dabei gut gegangen ist.

der kulurschockartikel auf dem rosa hintergrund wirkt verharmlosend und das hilft mir momentan ueber die tragik hinweg. ueberhaupt ist schreiben so gut. und chatten ist gut. ich hab schon leute in kolumbien kontaktiert, es ist schoen, hier ein netzwerk aufzubauen, jedenfalls ein bisschen...da fuehl ich mich wieder wohl dabei.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen